Widrigkeiten – Tuning für den Anpassungsmotor im Gehirn 07/14/2018
Tags #IBK, #meinGehirn, #Bewegungskontrolle, #LernenzuLernen, #Heldinnenreise, #Anpassungsfähigkeit
Ovid
„Widrigkeiten wecken den Verstand“
Hans Joachim Eckstein: Himmlisch menschlich. 2006
„Ausgerechnet die Situationen, die wir aus unserem Alltag immer wegwünschen – nämlich Belastungen, Widerstände, Schwierigkeiten – machen uns zu dem was wir immer werden wollten: standfest, erfahren und zuversichtlich“
Österreichisches Weltraumforum – Vorbereitung auf unbekannte Umgebungen
Das Österreichische Weltraumforum (ÖWF, Homepage hier) im Hinterhof in Pradl in Innsbruck, den meisten Innsbruckern unbekannt, ist als Institution allerdings weltweit bekannt. Ein professionelles Netzwerk von Raumfahrtspezialisten arbeitet hier mit nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen zusammen.
Der wichtigste Arbeitsbereich des ÖWF ist die Schaltzentrale, das Mission Support Center. Hier überwachen und unterstützen Wissenschaftler die bekannt geworden Simulationen einer Marsmission, 2015 auf dem Kaunertaler Gletscher, und 2018 in der Wüste von Oman.
Mit einer kleinen Feldcrew hat das Innsbrucker Support Center unter anderem erkundet mit welchen Unterstützungsmethoden sich Crews auf dem Mars, in Gegenden mit extremen Lebensbedingungen unterstützen lassen. Ingenieurstechnik und organisatorische Abläufe mit guter Anpassungsfähigkeit an veränderte und extreme Umgebungen können so entwickelt werden.
Raumflüge von so langer Dauer wie zum Mars führen allerdings zu Veränderungen in vielen physiologischen Systemen der Astronauten. Schwerwiegende Veränderungen wie zum Beispiel Muskelschwund, Herz-Kreislauf-Verschlechterung, und die Störung aller sensomotorischen Funktionen machen es Astronauten schwer allgemeine und missionskritische Aktivitäten durchzuführen. Die Widerstandskraft und die Anpassungsfähigkeit der Astronauten benötigt daher besondere Vorbereitung.
Die beste Vorbereitung auf eine Heldinnenreise – Lernbereitschaft
Die Schönheit des menschlichen Körpers besteht meiner Meinung nach darin, daß je nachdem wie wir ihn benutzen, die damit verbundenen Anpassungen dazu führen, daß er noch nützlicher wird. Das gilt natürlich auch für unser Gehirn, Körper und Geist sind Eins. Diese Schönheitsperspektive schafft mehr als das alte Credo „wer rastet, der rostet“. Nur aktiv sein ist (meist) gut, genügt aber nicht. Unser Tun braucht eine Ausrichtung, die für uns „Sinn macht“, damit eine wirklich nützliche Entwicklung stattfindet.
Vorbereitung für eine spezifische Zukunft benötigt spezifische Aktivitäten benötigt spezifische Anpassungen. Sturzprävention für das erhöhte Sturzrisiko im Alter versucht daher Kraft und Balance mit spezifischen Übungen zu verbessern. Spezifisches Training führt in der Wiederholung allerdings zu Monotonie und damit zu immer geringerer Anpassung. Wollen wir unseren Organismus zu mehr Anpassung verführen müssen wir weniger spezifische Übungen nutzen. Weniger spezifische Bewegungsübungen bringt für unseren Organismus unbekannte Reize für die er noch nicht vorbereitet ist. Überschwellige Reize durch Neues und Variation führen zu Anpassungen. Wollen wir uns z.B. für unsere Heldinnenreise im Alter mit vielfältigen veränderten aber nicht spezifisch vorhersagbaren Anforderungen bestens rüsten, so benötigen wir vielfältige, neue, und teilweise unvorhersehbare Belastungen. Damit Verbessern wir unsere Anpassungsfähigkeit. Wir schaffen so Lernbereitschaft und nützliches Lernen.
Bewegungstraining für Astronauten und Heldinnen – Variation und Unvorhergesehenes
Bewegungskontrolle muss einfach und universell funktionieren, da unser Arbeitsspeicher mit einer Vielzahl an Bewegungsmöglichkeiten überfordert ist. Überschwellige Belastung durch Variation und Unvorhergesehenes lehren unserem Bewegungssystem sehr schnell und effektiv, welche Kontrollmechanismen funktionieren und wertvoll sind. Wirkungsloses wird durch Übung mit dem Nadelöhr „begrenzter Arbeitsspeicher“ zusammen mit der offensichtlichen Selbstkontrolle „funktioniert’s noch?“ sehr schnell aussortiert. Störungs- und Variationstraining wird daher als neuer, sehr wirkungsvoller Trend sowohl in der Sturzprävention oder Wiederherstellung nach Schlaganfall (Beispielhafte Publikation zu einem klinischen Test mit Hintergrundinformation hier) als auch im Astronautentraining (Übersichtspublikation hier), z.B. als Vorbereitung auf eine Marsmission, verstärkt und sehr effektiv eingesetzt. Warum sollten wir das nicht auch für uns nutzen als Altersheldinnen.
Widrigkeiten sind besonders wirkungsvoll für uns Heldinnen
Wir können damit aufhören für unser erfolgreiches Altern oder unsere Marsmission die besten Bewegungsübungen zu suchen. Es gibt keinen heiligen Gral im Bewegungstraining. Wir und die Welt verändern sich ständig. Und doch gibt es für uns Alternde einen besonderen Nutzen, den wir aus diesem interessanten Verhältnis spezifischer und variierter oder gestörter Bewegung ziehen können. Üben wir nur auf die polaren Enden dieses Verhältnisses wird Bewegen meist nutzlos. Freies Wassertanzen oder Baden im Whirlpool kann unser Gehirn kaum mit Nutzen verbinden, die innere Bewegungsinformation kann nicht eingeordnet werden und geht nutzlos verloren. Einen universellen Wert wie z.B. Anpassungsfähigkeit aus der Variation der Bewegung zu ziehen bedeutet Perspektiven in Richtung spezifischer Handlungen oder Ziele zu schaffen. Damit spezifische Bewegungen wie z.B. aus Tai Chi, Pilates oder Yoga nützlich werden müssen wir alltagstaugliche Perspektiven, z.B. für Stürze, durch Variation oder Widrigkeiten schaffen. Wir fördern unsere Anpassungsfähigkeit unser Lernvermögen am allerbesten, wenn wir diese entgegensetzten Reize im Bewegungstraining miteinander verbinden. Wenn wir nützliche Bewegungen und ihre Variationen und Störungen in den unterschiedlichen bewegungssteuernden Systemen einfach erkunden. Unsere Schwächen im Alter werden uns hierbei auch noch zum Vorteil. Die Herausforderungen für unsere Bewegungskontrolle sind größer. Das innere Bedürfnis Bewegungskontrolle wirksam zu machen ist größer. Dadurch gibt es mehr Entwicklung, gibt es mehr Anpassungsfähigkeit.
Rauf und runter gibt Kraft, Koordination, Balance, bringt Anpassungsfähigkeit und Lebensfreude
Bringt vielfältig und mit Störungen nützliche Bewegungen zu Trainieren wirklich was? Fragen wir doch unser Gehirn dazu. Unser Nervensystem reagiert in Bruchteilen von Sekunden. Ob Bewegungsübungen etwas verbessert haben und Veränderungstüren aufgestoßen haben läßt sich daher immer sofort überprüfen. Ist unser Gehirn glücklich mit einer Übung, hat diese unsere Bewegungssteuernden Systeme verbessert. Verschlechterungen deuten darauf hin, daß unser zentrales Nervensystem eine Bedrohung registriert hat. Die Sicherheit der Situation, für unser Handeln, wird schlechter eingeschätzt. Tut sich nichts, haben wir vielleicht nicht den für uns relevanten Test verwendet oder die Übung ist nicht hilfreich für uns. Unser Hirnfeedback mit einem Test einzuholen lohnt sich. Mit effektiven Übungen kann effizient weiter gemacht werden, oder die Übung kann modifiziert werden, bis wieder ein Glücks-Effekt deutlich ist. Individuell effektives Trainieren wird so möglich.
Überprüfung der Balance ist ein Indikator für die Qualität der Informationsverarbeitung des propriozeptiven und des vestibulären Systems und ihrer Integration. Der Romberg Test als klinisch verwendeter Test oder ein einfacher Test des Einbeinstands bieten sich je nach Startfähigkeiten an. Für mich habe ich oft den Einbeinstand mit geschlossenen Augen für jeweils 30 Sekunden verwendet. Meine Schwäche links kaum mit geschlossenen Augen stehen bleiben zu können, verbesserte sich mit einigen Übungen deutlich. Ausprobieren, womit man grenzwertig unterwegs ist und das dann als Assessment einsetzen.
Die Übung und ihre Variationen zur Verbesserung der Bewegungskontrolle und der Erhöhung der Anpassungsfähigkeit ist ein einfaches Rauf – und – Runter- Spiel. Dieses Rauf – und – Runter- Spiel wird dann mit körperlichen Limitierungen, mit geschlossenen Augen, und mit Störungen durchgespielt. Die Variationen sorgen für mehr Aufmerksamkeit, Bewegungslernfähigkeit, und generell Anpassungsfähigkeit.
- Die Grundübung ist ein „sich aus dem Stand auf den Boden Legen und wieder Aufstehen“. Die Grundübung wird in 4 Variationen ausgeführt. Sich auf den Rücken legen, sich auf die rechte Seite legen, sich auf die linke Seite legen, und sich auf den Bauch legen. 4x hinunter und hinauf.
- Die 4 Variationen des Hinlegen und Aufstehens werden nun nur mit einer Hand durchgeführt. Die andere Hand bleibt während der gesamten 4 Aufstehübungen auf dem gleichseitigen Oberschenkel liegen. Die 4 Variationen werden mit jeder Hand einmal fixiert durchgeführt. Insgesamt 8x hinunter und hinauf.
- Als nächstes werden die Augen für die Übungen geschlossen (bitte auf sicheres Umfeld achten, und evtl. Freiräume schaffen) und die 4 Aufstehübungen zugleich auch mit einer fixierten Hand ihrer Wahl wie oben durchgeführt. 4x hinunter und hinauf mit erhöhter Körperaufmerksamkeit.
- Zum Abschluß werden die 4 Grundvariationen des Auf und Abs mit Störungen durchgeführt. Dazu wählen wir eine Variante mit Limitierung von oben, die wir kontrolliert ausführen konnten. Dazu lassen wir und dann evtl. von einem verfügbaren Partner im Verlauf der Übung an verschiedenen Körperteilen in verschiedene Richtungen leicht Schubsen, Drücken, oder Ziehen. Oder wir befestigen an einem Gürtel ein leichtes Gummiband, das am anderen Ende im Raum oder von einem Partner fixiert wird. Oder wir befestigen eine halbvolle Plastik Wasserflasche oder einen anderen leicht gefüllten Wasserbehälter möglichst entlang der Schultern an einem Rucksack oder geeigneten Tragegurt. Irgendetwas soll auf unseren Körper einen ständig im Verlauf unser Bewegung wechselnden Widerstand ausüben. Mit diesem zusätzlichen nicht vorhersagbaren Einfluß auf unseren Körper führen wir dann 4 runter und rauf Variationen durch.
Wir haben uns jetzt 20 mal rauf und runter bewegt. Dabei sind ungefähr fünf Minuten vergangen und wir sind dabei sicher etwas ins Schwitzen geraten. Was hat dieses Auf und Ab nun mit uns gemacht? Wenn wir z.B. den vorher durchgeführten Einbein-Test wiederholen, sollte sich in den meisten Fällen eine Verbesserung im Bereich der vorherigen Einschränkungen wahrnehmen lassen. Falls Ja, dann ist diese Sinnes- und Bewegungssystem störende Übungssequenz was für uns. Wir können sinnvoll weiter damit arbeiten und unsere Bewegungskontrolle und Anpassungsfähigkeit effizient verbessern.
Lernen zu Lernen
Variables Bewegungstraining mit vielfältigen motosensorischen Widrigkeiten stärkt unsere Anpasungsfähigkeit. In sensorisch anspruchsvollen Bewegungssituationen behalten wir die Problemlösungen nicht nur besser, sondern als Überkompensation steht uns für zukünftige Situationen bessere Anpassungsfähigkeit bzw. mehr Lernfähigkeit zur Verfügung. Nach Verletzungen, Erkrankungen, oder auch z.B. körperlichen Ausfällen im Verlauf des Alterns steht unserem Gehirn bei geeignetem Bewegungstraining mehr Innovationsfähigkeit für Problemlösungen in der veränderten Situation zur Verfügung (Übersicht erste Einblicke hier). Wir lernen leichter mit neuen Umgebungen umzugehen. Wir lernen leichter z.B. besser mit Hindernissen in unserem Alltag umzugehen und uns besser zu Bewegen.
Variation der Eingangsinformation, erzeugt eine effiziente und anpassungsfähige Steuerung unserer Bewegung. Variation der visuellen Information, der Gleichgewichtsinformation, der Bewegungswahrnehmenden Systeme, z.B. durch unterschiedliche Körperbelastung oder Veränderung der Bodeneigenschaften verbessern innerhalb kurzer Zeit, ca. 5 Minuten, unsere Bewegungskontrolle. Längerfristig durchgeführt wird so sehr deutlich die Anpassungsfähigkeit unserer bewegungssteuernden Systeme für zukünftige Lernaufgaben erhöht. Für neue bisher unbekannte Umgebungen oder Situationen werden unsere Reflexe besser, Körperstabilität wird erhöht, es kommt zu weniger Stürzen und der bewußte Aufwand uns zu Bewegen wird geringer.
Training mit multisensorischen Widrigkeiten ermöglicht unserem Gehirn langfristig eine Art innovative Robustheit. Wir werden nicht nur stabiler, sondern für alle Eventualitäten bestens gerüstet anpassungsfähig.
Mit derartigem Training werden Astronauten z.B. auf Veränderungen und Unbekanntes, wie bei einer Marsmission vorbereitet. Derartig vielfältiges und herausforderndes Training können wir auch nutzen, um uns bestens auf unsere weitere Lebensreise vorzubereiten. Helden wie wir profitieren von diesen einfachen und effektiven Reisevorbereitungen für Unerwartetes.