Wunderjahre

Freiheit und Lebensfreude gibt’s außerhalb eines Käfigs 08/01/2018

 

#Ibk, #meinGehirn, #aktiverLebensstil, #Trainingsvielfalt, #Autonomie, #Freiheit

 

 

Die Voliere und unser Gehirn

 

Die verfallende Voliere in Innsbruck als Sinnbild für den Verfall unseres Gehirns im Käfig. Immer mal wieder streife ich auf Spaziergängen die verfallende Voliere unterhalb der Villa Blanka und des Alpenzoos.  Ein angenehmer ruhiger Platz zum Verweilen. In ihrer wechselhaften Geschichte beherbergte die Voliere eine Vielzahl verschiedener Vögel.

 

Vögel im Käfig mögen für manche unterhaltend oder einfach schön anzuschauen sein, doch die Tiere degenerieren auf vielfältige Art und Weise. Besonders das Gehirn baut ab. In vielen neurowissenschaftlichen Studien wurde gezeigt, wie Gehirnregionen junger und alter Tiere im Käfig degenerieren und eine durch Größe, Spielzeug, und mehr soziale Partner „bereicherte Umgebung“ eine Vielzahl von Aspekten des Gehirns verbessert: Neuroanatomische Verbesserungen (Verzweigungen der Nervenzellen, neue Nervenzellen, neue Hilfszellen), Verbesserungen im Verhalten, verbesserte Kognition und besonders verbessertes Lernen (Übersichtsarbeit zur Wirkung „bereicherter Umgebungen“ hier).

 

Auch in Tiermodellen für neurodegenerative Erkrankungen wie z.B. Alzheimer und Parkinson hat eine ‚verbesserte Umgebung‘ bei der Haltung der Tiere vielfältige positive Auswirkungen. Ebenso fördert für uns Menschen eine Umwelt mit vielfältigen Reizen eine Vielzahl kognitiver und verhaltensrelevanter Prozesse im Gehirn. Es wurde nachgewiesen, dass reichhaltige Umweltstimulation sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit verbessert (Übersicht zu den verschiedenen Bereichen in einem englischen Wikipedia Beitrag zu ‚enviromental enrichment‘ hier).

 

 

Die alte Voliere unterhalb des Alpenzoos in Innsbruck

 

 

Für uns Menschen ist die bereicherte Umgebung unter Laborbedingungen eigentlich nichts anderes als ein aktiver Lebensstil. Die Wissenschaft macht uns Menschen mit diesen verschiedenen Haltungsversuchen und ihren positiven Auswirkungen aufs Gehirn daher deutlich, wie wichtig unsere Aktivitäten in unserer Umgebung für unsere Gehirngesundheit sind. Wir können uns diese Einsichten einfach zu Nutze zu machen.

 

Die positiven Wirkungen einer reichhaltigen Umweltstimulation werden im Rahmen der staatlich geförderten Healthy Brain Initiative in Amerika vermehrt für ‚Neuro-Gesundheit‘ eingesetzt. Mit verschiedenen Vorschlägen sollen gesunde kognitive Funktionen bei älteren Menschen verbessert werden. Vielfältig in Untersuchungen beschrieben, verbessert eine reichhaltige Umweltstimulation mehrere Erkrankungen, einschließlich degenerativer Erkrankungen (Huntington, Alzheimer, Parkinson), Epilepsie, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, fetales Alkoholsyndrom, Angstzustände und Depressionen. Zwei kleinere Pilot-Versuche mit aktivem Lebensstil bei Schlaganfallpatienten erreichten besseres Gedächtnis und bessere Kognition (hier und hier). Ein aktueller größerer klinischer Test versucht nun mit bereichterter Umgebung aus Aktivitäten, sozialen Kontakten und mehr kognitiver Herausforderung bessere Erfolge als passive Therapien in der Wiederherstellung von Schlaganfallpatienten zu erreichen (Details hier).

 

Sogenanntes Cross-Training, aus mehreren Sportarten angereichertes Training, wird auch immer bekannter und Bewegungsprofis und therapeutische Experten empfehlen es immer mehr, um Körperreaktionen auf Training zu verbessern und Verletzungen zu vermindern. Auch im Bereich des Sports spricht es sich herum, daß Stärke und Fitness in einem bestimmten Bereich sich nicht so einfach auf andere Bereiche oder den Alltag übertragen läßt. Für erfolgreiches Altern wird ebenso eine gewisse Vielfalt an Trainings für Kraft, Herz-Kreislauf, sowie Balance und Koordination empfohlen (z.B. WHO Empfehlungen für ü65 hier).

 

Ist diese empfohlene und verordnete Vielfalt ausreichend für unser Gehirn? Kann so Degeneration in unserem Hirn optimal aufgehalten werden oder eventuell damit sogar unsere kognitive Leistungsfähigkeit verbessert werden?

 

 

Training mit Variation im Gegensatz zu wirklicher Vielfalt – wirklicher Freiheit

 

Leistungsorientiert sind wir oft. Für Fähigkeiten, die wir als wichtig erachten haben wir eine leistungsorientierte Trainingsmentalität angenommen, um diese zu erreichen. Bestimmte Körperhaltungen oder Körperübungen brauchen Wiederholung und wir brauchen spezielle Trainingssituationen dazu. Eine Session, eine Klasse, einen Trainer oder Drill Instructor, eine klebrige Matte, und eine spezielle Zeit, meist eine Stunde ist notwendig, um sich zu Bewegen oder in speziellen Haltungen zu üben. Die spezielle Stunde ist natürlich gut investiert und tut uns vielfach gut. Aus der größeren Metaperspektive ‚Bewegung‘ betrachtet haben wir allerdings unserem Bewegungsgefängnis einfach eine neue Tapete verpasst oder vielleicht einen kleinen Raum angebaut. Grundlage ist wohl, daß wir oft die gerade gehypte Fitness mit Gesundheit verwechseln. Nach einer Stunde Training gehen wir für den Rest der Woche wieder in unsere gewohnten Bewegungen und Haltungen über. Die meiste Zeit sind wir in Gewohntem und von der kleinen Einheit anders sein erhoffen wir uns dann Veränderung, obwohl wir uns wieder in unsere meist gewohnte Sitzhaltung zurückbegeben. Veränderung auf diese Weise ist schwer.

 

Statt des starken Fokus auf Was, den perfekten Sport, der wieder nur stagnierende Monotonie produziert, könnten wir auf das Wie schauen. Dinge anders zu tun schafft Veränderung wo Veränderung schwierig geworden ist. Oft sind zum Beispiel andere Körperbewegungen im Alltag, in Vielfalt, z.B. mit Störungen, und häufig ausgeführt, ein Schlüssel. Wir können auf den Boden herunter, statt auf den Stuhl, und dann wieder aufstehen. Alltagstaugliche Kraft und Mobilität wird so einfach und auch sehr robust erreicht. Wissenschaftlich nachgewiesen, spiegelt sich im elleganten leichten Rauf- und Runter ein geringeres Sterberisiko (Publikation aus Spanien aus dem Jahre 2012 dazu hier). Doch nicht nur das, im häufigen täglichen und vor allem vielfältigen, nie gleichem auf und ab mit unserem Körper entsteht vielfältige Kompetenz. Es entsteht eine innere Freiheit, die uns mehr Möglichkeiten mit unserem Körper bietet.

 

Können wir jede Art von Bewegung nur mit unserem Körper in einem einfachen Raum z.B. am Boden gestalten entsteht eine Art innerer Kompetenz, innere Freiheit. Innere Freiheit entsteht z.B. wenn wir auf so viel wie möglich unterschiedliche Arten und Weisen uns auf und ab bewegen oder mit unterschiedlichsten Limitierungen, wie ohne Arme, oder mit Störungen die Bewegungen hinbekommen.

 

Entwickeln wir unsere Bewegungsfähigkeiten weiter, so daß sie in vielen Situationen nützlich sind entsteht äußere Freiheit. Verbesserte Bewegungskompetenz mit dem eigenen Körper erzeugt mehr innere Freiheit. Größere innere Bewegungs-Freiheit ergibt mehr Möglichkeiten äußere Freiheit zu erkunden. Beides gehört zusammen, wollen wir unser Potenzial bestmöglich für mehr Lebensqualität = Freiheit ausschöpfen. Vielfältiges Training mit vielfältigen Aufgaben in vielfältiger Umgebung läßt unseren Organismus lernen, was wirklich funktioniert. Eine anpassungsfähige, in vielen Herausforderungen nützliche Kompetenz entsteht. Aus diesen Möglichkeiten entspringt eine weitreichende Freiheit sich in vielen Situationen selbst auszudrücken.

 

Diese weitreichende Freiheit erlaubte es uns Menschen immer wieder im Lauf der Evolution zu überleben, uns weiter zu entwickeln. Ich glaube, daß diese vielfältigen Fähigkeiten, erprobt im Spannungsfeld aus Organismus und Umwelt, uns auch heute in unserer Entwicklung, z.B. im Alter, nützlich sind. Besondere körperliche Leistungen, z.B. wie ein einarmiger Handstand, oder begrenzte Bewegungspraxis, wie Radfahren oder Yoga, die uns sicherlich gut tun, haben nicht die gleiche Wirkung für Lebensqualität wie die Erweiterung unseres gesamten Bewegungspotenzials.

 

Gefühlt befinden wir uns mit wie auch immer limitierter Bewegungspraxis immer noch im Käfig. Wir drehen uns um uns selbst und machen uns etwas vor (Yoga-/Meditationsstudie aus Deutschland zeigt, daß Yoga/Meditation unser Selbstgefühl beflügelt hier). Komplexe vielfältige Herausforderungen für Bewegung z.B. in der Natur läßt aus der eigenen Bewegungsfähigkeit nützliche Selbstentwicklung entstehen. Ein freies Lebensgefühl, oder auch Autonomie fürs Altern entsteht. Wirkliche Freiheit, nützlich im Alltag.

 

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